Naturwaldreservat

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Schild Naturwaldzellen im Naturschutzgebiet Hunau - Langer Rücken - Heidberg
Naturwald Herrenholz in Goldenstedt (Niedersachsen)

Als Naturwaldreservat (NWR) werden größere Wald­gebiete ausgewiesen, in denen die Entnahme von Holz und sonstige forstwirtschaftliche Nutzungen untersagt sind. Für die Reservate werden länderspezifisch unterschiedliche Bezeichnungen verwendet: Naturwaldreservat, Naturwald, Naturwaldzelle, Naturwaldparzelle, Bannwald, Totalreservat, Prozessschutzfläche.

Ein Naturwaldreservat wird im Wesentlichen der natürlichen Entwicklung überlassen, so dass im Idealfall nach längerer Zeit wieder urwaldähnliche Strukturen entstehen. Ihre Ausweisung ist neben Naturschutz an sich in erster Linie von wissenschaftlichem Interesse. Es wird versucht, alle wichtigen Wald­typen in Reservaten repräsentiert zu haben.

Im Zusammenhang mit der Frage nach der natürlichen Waldentwicklung ohne Eingriffe des Menschen hatte der Forstwissenschaftler Herbert Hesmer im Jahr 1934 vorgeschlagen, von allen Waldgesellschaften möglichst naturnahe Teile zwischen etwa fünf bis 20 Hektar Größe als so genannte „Naturwaldzellen“ auszuscheiden, die von jeder wirtschaftlichen Nutzung ausgenommen und lediglich als Forschungs- und Demonstrationsobjekte dienen sollten.[1] Hesmers Anregung wurde jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund gesetzlicher Grundlagen in die Tat umgesetzt. In ihrer modernen Form gehen sie auf Initiative des Forstwissenschaftlers Hans Leibundgut (Schweiz) und dessen Schüler Hans Lamprecht (Deutschland) zurück.[2]

Betreut werden die Naturwaldreservate am European Forest Institute (EFI)[3] in Joensuu, Finnland und Barcelona, Spanien. Das Netzwerk hat 25 Mitgliedsstaaten, die die EFI-Konvention[4] unterzeichnet haben, und um die 130 Mitgliedsorganisationen in 36 Ländern. Das EFI betreut auch eine Naturwaldreservate-Datenbank.

In Deutschland gibt es insgesamt 746 Naturwaldreservate mit einer Gesamtfläche von 36.016 Hektar (Stand: November 2021).[5] Damit sind 0,3 Prozent des Waldes in Deutschland, der insgesamt eine Fläche von rund 11,4 Millionen Hektar[6] umfasst, als Naturwaldreservat ausgewiesen.

Bundesland Liste Bezeichnung der Naturwaldreservate Anzahl der Naturwaldreservate Gesamtfläche der Naturwaldreservate
Baden-Württemberg Liste der Bannwälder in Baden-Württemberg Bannwald 129 9.668 ha
Bayern Liste der Naturwaldreservate in Bayern Naturwaldreservat 166 7.575 ha
Brandenburg Liste der Naturwaldreservate in Brandenburg Naturwaldreservat 27 783 ha
Hamburg Liste der Naturwaldreservate in Hamburg Schutzwald 4 37 ha
Hessen Liste der Naturwaldreservate in Hessen Naturwaldreservat – ausgeschildert Bannwald 31 1.226 ha (hinzu kommen Vergleichsflächen)
Mecklenburg-Vorpommern Liste der Naturwaldreservate in Mecklenburg-Vorpommern Naturwaldreservat 35 1.404 ha
Niedersachsen Liste der Naturwaldreservate in Niedersachsen Naturwald 107 4.576 ha
Nordrhein-Westfalen Liste der Naturwaldreservate in Nordrhein-Westfalen Naturwaldzelle 75 1.677 ha
Rheinland-Pfalz Liste der Naturwaldreservate in Rheinland-Pfalz Naturwaldreservat 54 2.043 ha
Saarland Liste der Naturwaldreservate im Saarland Naturwaldzelle 16 1.161 ha
Sachsen Liste der Naturwaldreservate in Sachsen Naturwaldzelle 8 303 ha
Sachsen-Anhalt Liste der Naturwaldreservate in Sachsen-Anhalt Naturwaldzelle 20 1.008 ha
Schleswig-Holstein Liste der Naturwaldreservate in Schleswig-Holstein Naturwaldzelle 16 516 ha
Thüringen Liste der Naturwaldreservate in Thüringen Naturwaldparzelle 58 4.040 ha
Deutschland gesamt Naturwaldreservat 746 36.016 ha

In Bayern wurde bereits 1773 eine erste Verordnung zum Erhalt und der Pflege der Bäume und Waldschutzstreifen entlang der Straßen beschlossen, welche laufend ergänzt und verbessert wurde. Am 9. September 1855 erging eine Entschließung, die dem Forstpersonal zur Pflicht machte, jede Beschädigung oder Zerstörung von „Naturmerkwürdigkeiten“ zu verhindern. Am 8. Oktober 1884 wurden erstmals alle Naturmerkwürdigkeiten Bayerns inventarisiert, allerdings nicht veröffentlicht. 1978 wurden dann 135 Naturwaldreservate mit einer Gesamtfläche von rund 5.000 Hektar ausgewiesen. Im Bayerischen Waldgesetz ist vorgesehen, dass natürliche oder weitgehend natürliche Waldflächen als Naturwaldreservate eingerichtet werden können. Sie sollen die natürlichen Waldgesellschaften landesweit repräsentieren und der Erhaltung und Erforschung solcher Wälder sowie der Sicherung der biologischen Vielfalt dienen. Heute gibt es in Bayern 166 Naturwaldreservate mit einer Gesamtfläche von 7.575 Hektar. Sie liegen überwiegend im Staatswald, sechs Reservate befinden sich im Kommunalwald und vier im privaten Eigentum. Die durchschnittliche Größe der bayerischen Naturwaldreservate beträgt 45 Hektar.[7] Weitere nutzungsfreien Waldflächen befinden sich in den beiden bayerischen Nationalparken Bayerischer Wald und Berchtesgaden sowie in den Naturwaldflächen im Staatswald. Die Koordination der Naturwaldreservatsforschung in Bayern liegt bei der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft.

Bundesland Anzahl Fläche in ha
Burgenland 014 0204
Kärnten 046 1806
Niederösterreich 055 1628
Oberösterreich 017 0219
Salzburg 007 0253
Steiermark 016 1166
Tirol 024 2806
Vorarlberg 009 0237
Wien 007 0084
Quelle/Stand: BMLFUW/BFW, 2015[8]

In Österreich gibt es um die 200 Naturwaldreservate (NWR) mit einer Gesamtfläche von 8.603 Hektar. Das Naturwaldreservate-Programm wird vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft finanziert und vom Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft wissenschaftlich betreut. Das NWR-Programm, das in frühen 1980er-Jahren um die 20 Reservate umfasste,[9] wurde mit Unterzeichnung der Resolutionen der Forstministerkonferenz 1993 in Helsinki (MCPFE 1993, Helsinki-Prozess) auf Bundesebene intensiviert.[10]

Es ist als Vertragsnaturschutz-Modell konzipiert und beruht auf langfristigen (meist 20-jährigen) zivilrechtlichen Verträgen des Bundes mit den Eigentümern. Der Waldeigentümer nimmt freiwillig am NWR-Programm teil; es bleiben Grund und Boden sowie der Waldbestand in seinem Eigentum. Der Waldeigentümer unterlässt Nutzungen, dafür erhält er ein Entgelt. Dieses setzt sich zusammen aus einem fixen Sockelbetrag für den Verwaltungsaufwand und dem Wirtschaftswert des Bestandes. Bei Eingriff in den Wald seitens des Besitzers wird der Vertrag gekündigt, und alle Ausgleichszahlungen müssen zurückgezahlt werden.[11] 68 der Naturwaldreservate, also etwa 13, stellen die Österreichischen Bundesforste.[12]

Das wichtigste Kriterium für die Auswahl von Flächen ist die Repräsentativität in Abhängigkeit vom Areal der potenziellen natürlichen Waldgesellschaften in den einzelnen Wuchsgebieten.[13] In Österreich kommen 118 EU-Waldgesellschaften in den 22 Wuchsgebieten vor. Ziel ist, alle diese Waldgesellschaften abzudecken, und eine Schutzfläche von 10.000 ha zu erreichen,[14] mit 0,25 % der 4 Mio. ha Wald insgesamt im Vergleich etwa mit der Schweiz relativ wenig.

In der Schweiz gibt es 1073 Naturwaldreservate, inklusive des Schweizerischen Nationalparks, mit einer Gesamtfläche von 46.199 Hektar, das entspricht 3 Prozent der Schweizer Waldfläche (Stand: 12/2018).[15][16] Der Schwerpunkt liegt in den Alpen. Das Ziel liegt bei 5 Prozent der Waldfläche und soll im Jahr 2030 erreicht sein. Erste Waldreservate wurden in der Schweiz ab Beginn des 20. Jahrhunderts angelegt: Scatlè (1910), Schweizerischer Nationalpark (1914), Aletschwald (1933).

Die Forschung in den Naturwaldreservaten wird von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und der ETH Zürich gemeinsam durchgeführt.

In Frankreich entspricht das Naturwaldreservat in etwa der Réserve biologique intégrale.

Deutschland:

  • Wald in Hessen. Hrsg. Hessisches Ministerium für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz, 2003, S. 48–49.
  • Herbert Hesmer: Naturwaldzellen. Der Deutsche Forstwirt 16 (1934) 133-135 und 141-143.
  • Peter Meyer, Anne Wevell von Krüger, Roland Steffens, Wilhelm Unkrig: Naturwälder in Niedersachsen. Schutz und Forschung. Band 1 – Niedersächsisches Tiefland. Göttingen/Braunschweig 2006, ISBN 978-3-00-019045-2.
  • Peter Meyer, Katja Lorenz, Andreas Mölder, Roland Steffens, Wolfgang Schmidt, Thomas Kompa, Anne Wevell von Krüger: Naturwälder in Niedersachsen. Schutz und Forschung. Band 2 – Niedersächsisches Bergland. Göttingen/Braunschweig 2015, ISBN 978-3-00-050091-6.
  • B. Althoff, R. Hocke, J. Willig: Naturwaldreservate in Hessen – Ein Überblick. (Mitteilungen der Hessischen Landesforstverwaltung, 24). Wiesbaden 1991, ISBN 3-89051-111-2. (pdf, nw-fva.de).
  • Rudolf Rösler, Anton Schmidt: Naturwaldreservate im Bezirk der Forstdirektion Niederbayern-Oberpfalz. In: Hoppea. Denkschriften der Regensburgischen Botanischen Gesellschaft. Bd. 61, Regensburg 2000.

Österreich:[17]

  • Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg.): Naturwaldreservate in Österreich. Schätze der Natur. Broschüre, Wien o. D. (pdf, Weblink, beide lebensministerium.at).
  • Georg Frank: Naturwaldreservate: international beachtete Einrichtung. In: Österreichische Forstzeitung. 114 (3), 2003, S. 18–19.
  • Roman Türk: Naturwaldreservate – Notwendigkeit oder Luxus? In: Natur und Land. 97. Jg., Heft 3-2011.
  • Matthias Schickhofer: Urwald in Österreich. Die letzten wilden Waldparadiese. Brandstätter Verlag, 2013, ISBN 978-3-85033-697-0 (Besprechung, wien-vienna.at).

Schweiz:

  • Peter Brang (Red.), Caroline Heiri, Harald Bugmann: Waldreservate. 50 Jahre natürliche Waldentwicklung in der Schweiz. Haupt, Bern 2011, ISBN 978-3-258-07725-3.
  • Markus Bolliger, Nicole Imesch, Reinhard Schnidrig: Waldreservatspolitik der Schweiz: Zwischenbilanz und Perspektiven aus Sicht des Bundes (Essay). In: Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen. Bd. 163, 2012, S. 199–209.
Commons: Naturwaldzelle – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Deutschland:

Österreich:

Schweiz:

Einzelnachweise

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  1. Herbert Hesmer: Naturwaldzellen. In: Der Deutsche Forstwirt. Band 16, Nr. 13/14, 1934, S. 133–135 und 141–143.
  2. Ernst Röhrig: Professor Dr. Hans Lamprecht im Ruhestand. In: Der Forst- und Holzwirt. 40. Jahrgang, Nr. 1, 1985, S. 19.
  3. About Us. In: efi.int. European Forest Institut, abgerufen am 29. März 2014.
  4. Convention on the European Forest Institute. Joensuu, 28. August 2003 (online, efi.int)
  5. Datenbank Naturwaldreservate in Deutschland. Abgerufen am 2. November 2021.
  6. Dritte Bundeswaldinventur (2012). Abgerufen am 21. Dezember 2015.
  7. Naturwaldreservate in Bayern. Abgerufen am 27. Oktober 2020.
  8. Lit. Bundesministerium f.LFUW: Naturwaldreservate in Österreich. Grafik Naturwaldreservate je Bundesland, S. 16.
    Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft – Institut für Waldwachstum und Waldbau: Ergebnisse, bfw.ac.at, Stand: 1. Januar 2015
  9. Kurt Zukrigl: Naturwaldreservate in Österreich. In: ÖKOL. 5/2, 1983, Tabelle 1 Naturwaldreservate in Österreich. S. 23 (ganzer Artikel S. 20–27, zobodat.at [PDF])
  10. Naturwaldreservate: Chance für Waldbesitzer, in Der fortschrittliche Landwirt, landwirt.com.
  11. Die letzten Urwälder von Österreich. In: derStandard.at, 4. Juni 2011, Abschnitt Entschädigungen.
  12. Peter Weinfurter; Österreichische Bundesforste AG (Hrsg.): Chronik 1925–2005. 80 Jahre Bundesforste. Geschichte der Österreichischen Bundesforste. Purkersdorf 2005, Kapitel 7.6.7 Naturwaldreservate, S. 111 (pdf bei bundesforste.at) (Memento vom 30. April 2014 im Internet Archive)
  13. Naturwaldreservate-Programm in Österreich, Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft (bfw.ac.at)
  14. Lit. Bundesministerium f.LFUW: Naturwaldreservate in Österreich. 9. Ausblick. Über die Zukunft der Naturwaldreservate, S. 21.
  15. Waldreservate. In: bafu.admin.ch. Abgerufen am 17. Februar 2020.
  16. Waldreservate in der Schweiz. (PDF; 839 kB) Bericht über den Stand Ende 2018. 31. Juli 2019, abgerufen am 17. Februar 2020.
  17. Übersicht: Ausgewählte Literatur über Naturwaldreservate, Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft.